J. H. Hagedorn: Bremen und die atlantische Sklaverei

Cover
Titel
Bremen und die atlantische Sklaverei. Waren, Wissen und Personen, 1780–1860


Autor(en)
Hagedorn, Jasper Henning
Erschienen
Baden-Baden 2023: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
540 S.
Preis
€ 114,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian zur Lage, Fachbereich Geschichte, Universität Hamburg

Forschung zur deutschen Involvierung in das System der atlantischen Sklaverei weist, sobald sie den engen Rahmen einzelner Firmen oder Personengruppen verlässt, erhebliche praktische und konzeptuelle Herausforderungen auf – zusätzlich zu den auch in der Forschung zu westeuropäischen Kolonialmächten ohnehin bestehenden, etwa zur Dezentrierung europäischer Perspektiven. Ursächlich für diese speziellen Herausforderungen ist unter anderem die geografische Streuung der Aktivitäten über verschiedene staatliche Einflusssphären und drei Kontinente. Daran anknüpfend besteht die Notwendigkeit eines Ansatzes, der den Zusammenhang zwischen oft isolierten Fallbeispielen herstellt.

Jasper Henning Hagedorn begegnet diesen Herausforderungen in seiner Dissertation über „Bremen und die atlantische Sklaverei“ einerseits durch geografische und zeitliche Eingrenzungen sowie mit Referenzen auf übliche Konzepte der Slavery Studies wie etwa den „Hidden Atlantic“ (mit Michel Zeuske, S. 24) und die „Second Slavery“ (mit Dale Tomich, S. 25). Andererseits verwendet er einen breiten Begriff der „Verflechtungen“ (S. 14), die auf verschiedenen Ebenen analysiert werden sollen. Der Untertitel des Buches „Waren, Wissen und Personen, 1780–1860“ fasst die Untersuchungsfelder kurz zusammen, wobei insbesondere der Begriff des Wissens und der Rückgriff auf Konzepte der Wissensgeschichte für dieses Thema bemerkenswert sind. Die aus dem Bremer ERC-Grant-Projekt „The Holy Roman Empire of the German Nation and its Slaves“ unter der Leitung Rebekka von Mallinckrodts hervorgegangene Arbeit soll sich so von der klassisch wirtschaftshistorisch ausgelegten Forschung zur Bremer beziehungsweise deutschen Involvierung in Sklaverei und Kolonialismus abheben.

Das nach der ausführlichen Einleitung zweite Kapitel über Bremens Handel mit Plantagenregionen folgt dann zuerst noch bekannten Pfaden und bietet einen wirtschaftshistorischen Überblick über die Bedingungen, unter denen die Kaufleute der Stadt agierten. Informationen zu Zielregionen des Handels, Exportwaren und Strukturen der Firmen schließen sich an, bevor exemplarisch einzelne Handelshäuser angeführt werden. In diesem Abschnitt – wie auch in einem kurzen Anhang – finden sich zudem einige aussagekräftige Datenreihen und Diagramme über den Handel der Stadt und einzelner Firmen.

Detailstudien anhand bestimmter Akteure machen den Großteil des zentralen dritten Kapitels aus. Der erste Abschnitt beleuchtet das dänische St. Thomas als den Ort, wo Bremer Geschäftsleute trotz der protektionistischen Vorschriften der Kolonialmächte schon im ausgehenden 18. Jahrhundert Zugang zur Plantagenökonomie finden konnten. Hier kann Hagedorn die Integration der Bremer in die koloniale Elite zeigen, mit der eine „Normalisierung der Sklaverei“ (S. 146) für alle dokumentierten Akteure einherging. Im nächsten Abschnitt gilt ein besonderer Fokus dem bremischen und hanseatischen Konsulatswesen im frühen 19. Jahrhundert wie auch der Korrespondenz der Konsuln, die – selbst in der Regel zugleich Kaufleute – als „Informationsbrücke“ (S. 238) über Plantagenwirtschaft und Sklaverei zwischen ihrem Arbeitsort und der Heimat fungierten. Zugleich betont Hagedorn mehrfach, dass die Berichterstatter oft explizite Erwähnungen der Sklaverei oder zumindest eigene Wertungen vermieden. Anschließend folgen Fallstudien zu Akteuren, die direkt in die Sklaverei involviert waren. Johann Böse, der ab 1766 Wirtschafter einer Plantage Heinrich Carl von Schimmelmanns in der dänischen Karibik wurde, und Richard Fritze, der erst 1858 aus Kuba nach Bremen zurückkehrte, zeigen das zeitliche und geografisch-politische Spektrum des Kapitels auf. Weitere Beispiele wie die Mitglieder der Familie Wilckens beziehen auch das französische und britische Kolonialreich mit ein. In diesen Abschnitten beleuchtet Hagedorn die Karrieren vom Gang in die Kolonien und dem Plantagenerwerb bis zur erfolgten Rückkehr und die Wahrnehmung der Involvierung in die Sklaverei in Bremen. Zwei Einschübe thematisieren zudem die Präsenz Schwarzer Menschen in Bremen.

Das vierte Kapitel ist der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Sklaverei und Sklavenhandel in Bremen gewidmet. Die hanseatischen Vertragsabschlüsse der 1830er-Jahre mit Großbritannien und Frankreich, die den Marinen der Großmächte ein Durchsuchungsrecht möglicher Sklavenschiffe erlaubte, bilden den Ausgangspunkt des Abschnitts. Zum Tragen kam dieser Konflikt 1841 im Fall des Bremer Schiffs Julius & Eduard, das von einem britischen Kriegsschiff aufgebracht wurde und dessen Auftraggeber und Besatzung vertragsgemäß in Bremen für ihre Beteiligung am Sklavenhandel verurteilt werden sollten. Die „hochpolitisierte Verhandlung“ (S. 369) endete mit einem Freispruch und verdeutlichte so die rechtlichen Vorstellungen der politischen Elite Bremens. Hagedorn betont hier die Ambivalenz zwischen moralischem Selbstverständnis und wirtschaftlichen Interessen, die sich auch in weiteren Fallstudien wie dem aus der Sklaverei nach Bremen geflohenen William Stepney und dem Schiff Dom Pedro II zeigen. Untersuchungen zu Bremer publizistischen Auseinandersetzungen mit der Sklaverei und konkret die Rezeption der sich um 1860 zuspitzenden Konflikte um das Thema in den USA schließen das Kapitel ab.

Die zahlreichen hier angeführten Fallbeispiele deuten nur an, in welcher Detailgenauigkeit und Breite Hagedorn das Thema bearbeitet hat. Seine intensive Quellenarbeit in Bremen dürfte sich für vergleichbare Studien mit einem regionalen Fokus als maßstäblich herausstellen. Durch die Bearbeitungszeit von 2019 bis 2023 verständlich, aber trotzdem bedauerlich ist die praktisch auf das dänische Rigsarkivet begrenzte Einbeziehung internationaler Archive. Angesichts der von Hagedorn wiederholt betonten Bedeutung Großbritanniens etwa als „Referenzpunkt“ für Bremen (S. 449, ähnlich S. 486, explizit mit Bezug auf Archivalien S. 42) ist die Verwendung nur eines einzigen Dokuments aus den National Archives erstaunlich. Die wichtigsten einschlägigen Bestände zur Britischen Bekämpfung des Versklavungshandels nach 1807 liegen digitalisiert vor, hätten also einfachen Zugriff auf eine komplementäre Überlieferung geboten.1

Die große Stärke der Arbeit liegt auch deshalb in der Darstellung der innerbremischen Dynamiken, etwa der Netzwerke, der Weitergabe von Wissen und der Frage der Reputation durch die Involvierung in die Sklaverei. In dieser Hinsicht kann der wissensgeschichtlich geprägte Ansatz als gelungen eingeschätzt werden: Hagedorn kann sich so immer wieder auch substanziell, nicht nur im Umfang, etwa von den Aufsätzen Horst Rösslers abheben, der die wichtigsten Fallbeispiele schon thematisiert hat.2 Zugleich bedeutet dieses Vorgehen jedoch einen weitgehenden Verzicht auf strukturierende Analysen beispielsweise anhand quantifizierender Methoden oder der Unterteilung in verschiedene Perioden.

Trotz der angeführten Kritikpunkte erfüllt Hagedorns Studie angesichts der Detailtiefe der einzelnen Untersuchungen und des breiten Spektrums an Fallbeispielen überzeugend sein Ziel, Bremens „umfassende Teilhabe“ (S. 493) an der atlantischen Sklaverei nachzuweisen. Mit einer umfangreichen regionalen, nicht auf eine Person oder ein Unternehmen fokussierten Studie zur Sklaverei betritt er auch für den gesamten deutschsprachigen Raum weitgehend Neuland.3 Somit stellt die Arbeit zugleich einen wichtigen Baustein für das Verständnis der übergreifenden deutschen Beteiligung an der kolonialen Wirtschaft im Allgemeinen und der Sklaverei im Besonderen dar.

Anmerkungen:
1 Siehe exemplarisch: The National Archives, FO 84–946, fol. 107v–117r mit Bezug auf die Julius & Eduard sowie die Dom Pedro II.
2 Etwa die für Hagedorn zentralen Fälle Böse, Wilckens, Fritze und Julius & Eduard: Horst Rössler, Vom Zuckerrohr zum Zuckerhut. Die Familie Böse und die Bremer Zuckerindustrie, in: Bremisches Jahrbuch 90 (2011), S. 63–94; Horst Rössler, Bremer Kaufleute und die transatlantische Sklavenökonomie 1790–1865, in: Bremisches Jahrbuch 95 (2016), S. 75–107. Siehe aus dem Bremer Projekt auch: Sarah Lentz, „No German Ship Conducts Slave Trade!“ The Public Controversy about German Participation in the Slave Trade during the 1840s, in: Rebekka Mallinckrodt / Josef Köstlbauer / Sarah Lentz (Hrsg.), Beyond Exceptionalism. Traces of Slavery and the Slave Trade in Early Modern Germany, 1650–1850, Berlin 2021, S. 287–311.
3 Wegweisende deutsche Studien zu einer Familie beziehungsweise staatlichen Kompanie sind dagegen schon Klassiker, etwa Christian Degn, Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel. Gewinn und Gewissen, Neumünster 1974; Andrea Weindl, Die Kurbrandenburger im ‚atlantischen System‘, 1650–1720, Köln 1998, in: Arbeitspapiere zur Lateinamerikaforschung https://lateinamerika.phil-fak.uni-koeln.de/fileadmin/sites/aspla/bilder/arbeitspapiere/weindl.pdf (10.02.2024). Zudem erschienen in den letzten 15 Jahren diverse impulsgebende Aufsätze verschiedenen geografischen Zuschnitts, die mit einem knapperen Umfang aber zwangsläufig andere Ansätze verfolgten. Siehe neben Rössler etwa Klaus Weber, Deutschland, der atlantische Sklavenhandel und die Plantagenwirtschaft der Neuen Welt (15. bis 19. Jahrhundert), in: Journal of Modern European History 7 (2009), S. 37–67; Magnus Ressel, Hamburg und die Niederelbe im atlantischen Sklavenhandel der Frühen Neuzeit, in: WerkstattGeschichte 66/67 (2014), S. 75–96.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension